Was hat eine Pizzeria in Venedig, in der sogar Johnny Depp gespeist hat, mit Prozessmanagement zu tun?
Mehr, als man denkt!
Letzten September verbrachten mein Mann und ich einige Tage in Venedig. Ich liebe Venedig! Vor allem am Abend, wenn die Tagestouristen ihren Weg aus der Stadt herausgefunden haben und die Gassen mystisch beleuchtet sind.
In einer der vielen Gassen fanden wir eine urige Pizzeria. Eine Pizzeria, in der auch schon Johnny Depp einen Abend verbrachte. Wir hatten Glück und bekamen auch ohne Reservierung einen Tisch.
Die Location war fantastisch, das Essen köstlich, aber die Prozesse?
Ein absolutes Chaos!
Mehrere sichtlich gestresste Kellner bedienten uns, die Vorspeise kam vor den Getränken, der Gruss aus der Küche war nur noch einmal vorhanden, der Wein war ausverkauft und es gab ständige Missverständnisse zwischen den Mitarbeitenden. Das alles spielte sich vor unseren Augen ab. Wir haben als Kunden alles mitbekommen und fühlten uns mit der Zeit immer unwohler.
Ich sass dort, den Blick über das Gewirr von Kellnern, Küchenpersonal und gestressten Gesichtern schweifend und erkannte, dass diese Situation ein lebendiges Lehrbeispiel für Prozessmanagement war. Denn auch wenn das Ambiente charmant und die Speisen exquisit waren, das Durcheinander in den Abläufen trübte unser Ess-Erlebnis erheblich.
In meiner Rolle als Dozentin für Prozessmanagement habe ich diese Erfahrung direkt in meine nächste Vorlesung eingebracht. Ich stellte meinen Studierenden die Aufgabe, die Prozesse der Pizzeria zu optimieren.
Ihre Aufgabe war klar:
analysiert die Abläufe,
identifiziert Engpässe,
entwickelt Lösungen, die nicht nur das Kundenerlebnis verbessern, sondern auch das Arbeitsumfeld für die Mitarbeitenden optimieren.
Innerhalb von nur 30 Minuten entwickelten sie ein umfassendes Konzept und einen Umsetzungsplan – immer mit dem Fokus auf den Kunden.
Ihre Lösungen waren nicht nur sinnvoll und leicht umsetzbar, sondern hätten auch die Kundenzufriedenheit und das Arbeitsleben der Angestellten signifikant verbessert. Von der Neustrukturierung des Bestellprozesses bis zur Implementierung klarer Kommunikationskanäle zwischen Service und Küche – ihre Ideen waren präzise, umsetzbar und vor allem kundenorientiert.
Bei ihrem Vorgehen hielten sie sich an die Phasen des PDCA-Zyklus und nutzten verschiedene Methoden und Werkzeuge, die ihnen den Weg zu den Ursachen und zu möglichen Lösungen zeigten.
PDCA-Zyklus (Plan-Do-Check-Act):
Dieser zyklische Prozess diente als Leitfaden für die kontinuierliche Verbesserung. Die Studierenden planten ihre Massnahmen, führten sie durch, überprüften die Ergebnisse und passten sie bei Bedarf an, um einen effizienten und nachhaltigen Verbesserungsprozess sicherzustellen.
Plan (Planen):
In dieser Phase wird das Problem identifiziert und das Ziel der Verbesserung festgelegt. Es werden Daten gesammelt und analysiert, um Ursachen für das Problem zu verstehen und potenzielle Lösungen zu entwickeln. Ein Plan wird erstellt, mit Massnahmen die ergriffen werden sollen, um das Problem zu lösen.
Do (Umsetzen): In dieser Phase werden die Massnahmen umgesetzt. Dies kann Änderungen in Prozessen, Verfahren, Schulungen oder anderen Aspekten der Organisation umfassen.
Check (Überprüfen): Nach der Umsetzung werden die Ergebnisse gemessen und überwacht, um festzustellen, ob die angewendeten Massnahmen die gewünschten Ergebnisse erzielt haben. Es werden Daten gesammelt und analysiert, um zu überprüfen, ob das Problem gelöst wurde und ob sich die Leistung tatsächlich verbessert hat.
Act (Handeln): Basierend auf den Ergebnissen der Überprüfung werden Anpassungen vorgenommen. Wenn die Massnahmen erfolgreich waren, können sie standardisiert und in den regulären Betrieb überführt werden. Wenn nicht, werden weitere Verbesserungsmassnahmen identifiziert und der Zyklus beginnt von Neuem.
Ishikawa-Diagramm (auch bekannt als Fischgräten-Diagramm oder Ursache-Wirkungs-Diagramm):
Dieses Werkzeug half den Studierenden, die Ursachen für Probleme oder Engpässe zu identifizieren. Das Fischgräten-Diagramm wurde von Kaoru Ishikawa, einem japanischen Qualitätsexperten, entwickelt und ist besonders nützlich, um komplexe Probleme zu visualisieren und deren Ursachen zu identifizieren. Die Grundidee hinter dem Ishikawa-Diagramm ist, dass Probleme oft auf verschiedene Ursachen zurückzuführen sind, die in verschiedenen Kategorien organisiert werden können. Diese Kategorien werden typischerweise als die "Fischgräten" des Diagramms dargestellt. Der Hauptknochen des Fisches stellt dabei das zu untersuchende Problem dar und die Seitenknochen die verschiedenen Ursachenkategorien. Indem sie die Hauptkategorien wie Personal, Prozesse, Umgebung und Ausrüstung analysierten, konnten die Studierenden tiefergehende Einblicke in die zugrunde liegenden Probleme gewinnen und gezielte Lösungen entwickeln.
Aufwand-Nutzen-Matrix: Wenn im Anschluss an die Ursachenanalyse die Ideen für Verbesserungen im Idealfall nur so sprudeln, ist es notwendig, sie einer «Prüfung» zu unterziehen. Durch die Einordnung in die Aufwand-Nutzen-Matrix kann jede Idee nach ihrem Aufwand und nach ihrem Nutzen eingeschätzt werden. Dies ermöglicht eine objektive Beurteilung der Ideen. Wir wollen dem Inhaber der Pizzeria schliesslich die Massnahmen vorschlagen, die am schnellsten und einfachsten Abhilfe verschaffen. Stichwort: 20% Aufwand und 80% Wirkung! Durch die Bewertung der Kosten und des Nutzens jeder vorgeschlagenen Massnahme konnten die Studierenden priorisieren und sicherstellen, dass ihre Lösungen einen maximalen Mehrwert für das Unternehmen und die Kunden bieten.
Die Lektion war klar: Effektives Prozessmanagement ist keine Frage der Branche, sondern der Denkweise. Die gleichen Prinzipien, die in der Industrie angewendet werden, können genauso gut auf eine Pizzeria in Venedig übertragen werden.
Effektives Prozessmanagement ist keine Frage der Branche
Dieses Erlebnis unterstreicht die Universalität des Prozessmanagements. Es ist nicht nur ein Werkzeug für die Maximierung von Effizienz und Produktivität, sondern auch ein Instrument zur Steigerung der Kundenzufriedenheit und Mitarbeitermotivation.
Diese Erfahrung zeigt: Prozessmanagement ist überall anwendbar, nicht nur in der Industrie, sondern auch in einer Pizzeria in Venedig.
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